Vor zehn Jahren starb FPÖ- und BZÖ-Obmann Jörg Haider. Er hat Österreichs Politlandschaft durcheinandergewirbelt, zerbrach die rot-schwarze Alleinherrschaft und war der Dauerfeind der Medien. Er gab patriotisch gesinnten Menschen die Hoffnung auf Veränderung, die er aber nur zum Teil erfüllte. Die Umstände seines Todes werfen bis heute Fragen auf.
Text: Klaus Faißner
Es gibt nur wenige Ereignisse, an die sich fast alle Österreicher erinnern. Eines davon war die Nachricht vom Tod Jörg Haiders am 11. Oktober 2008. Freund und Feind waren geschockt. Über Nacht wurde Haider zu einem Mythos und er blieb lange - vor allem wegen des Desasters der Hypo Alpe Adria - ein großes Thema.
Österreichweit bekannt wurde der am 26. Jänner 1950 in Goisern geborene Haider im September 1986 beim FPÖ-Parteitag in Innsbruck. In einer Kampfabstimmung gewann er dank der Unterstützung des deutschnationalen Flügels gegen den damaligen FPÖ-Vizekanzler Norbert Steger. Der Koalitionspartner SPÖ kündigte die Regierung auf und es kam zu Neuwahlen. Haider hatte den nationalen Flügel in der FPÖ gestärkt. Damit konnte er den Stimmenanteil der durch Regierungsverschleiß und liberaler Ausrichtung zwischen Sein und Nichtsein befindlichen Partei auf 9,7 Prozent verdoppeln. Von Anfang an erntete Haider Begeisterung und wüste Ablehnung. Er war der erste - erfolgreiche - "Rechtspopulist" Europas, noch bevor es das Wort dafür überhaupt gab. Haider sprach Tabuthemen an wie die rot-schwarze Proporz-Krake, die das ganze Land fest im Griff hatte, oder das Ausländerthema, vor allem in Wien - und sprach damit vielen Menschen aus der Seele. Er verteidigte die Kriegsgeneration, attackierte jüdische Kreise und präsentierte sich als Vertreter des kleinen Mannes. Selbst bei seinen Anhängern teilweise umstrittene Forderungen der 1980er-Jahre, wie jene nach einem EG-Beitritt Österreichs, wurden ihm verziehen.
Von Erfolg zu Erfolg
1976 heiratete er die gebürtige Tirolerin Claudia Hoffmann und zog mit ihr ins Kärntner Bärental. Gleichzeitig startete er seine politische Karriere in Kärnten. 1989 brach er dort die jahrzehntelange absolute Mandatsmehrheit der SPÖ und ließ sich mit Hilfe der ÖVP zum Landeshauptmann küren. Zwei Jahre später sollte ihn Rot-Schwarz nach seinem Sager von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" stürzen. Doch die Erfolge gingen weiter: 1990 erreichte die FPÖ bei der Nationalratswahl bereits 16,6 Prozent der Stimmen und zertrümmerte damit die Hoffnungen der damaligen Großparteien, die er als "rot-schwarze Einheitspartei" verhöhnte, noch einmal die absolute Mehrheit zu erreichen. 1993 fand das von der FPÖ initiierte Volksbegehren "Österreich zuerst" statt, das visionär Maßnahmen gegen die gestiegene Zuwanderung verlangte. Politische Gegner und Medien veranstalteten eine Hexenjagd dagegen. Unmittelbar danach trat seine damalige Stellvertreterin Heide Schmidt aus der Partei aus und gründete das Liberale Forum. Die Konsequenz? Ein Plus von sechs Prozentpunkten für die FPÖ bei der Nationalratswahl im Oktober 1994. Wenige Monate zuvor hatte das Volk mit zwei Dritteln "Ja" zum EU-Beitritt gesagt. Haiders FPÖ war inzwischen auf die Seite der Beitrittsgegner gewechselt und blieb auch nach der Abstimmung zumindest vordergründig EU-kritisch. Die Forderung nach einem Austritt stellte sie jedoch nie.
Historischer Sieg
Haider begeisterte, indem er Themen ansprach, die bis dato tabu waren. So warnte er knapp vor der Volksabstimmung über den EU-Beitritt im Juni 1994 davor, dass Vranitzky "im Auftrag der Freimaurer und der Bilderberger" handle. Fünf Jahre später feierte Haider zwei Riesenerfolge: In Kärnten erreichte seine FPÖ mit 42,1 Prozent überlegen den Wahlsieg, womit er wieder Landeshauptmann wurde, und bei der Nationalratswahl konnte er die FPÖ mit 26,9 Prozent der Stimmen hauchdünn vor der ÖVP auf Platz zwei bringen. Bei vielen keimte Hoffnung auf echte Veränderung auf. Da der damalige ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel erklärt hatte, im Falle eines dritten Platzes in die Opposition zu gehen, kam es zu lähmend langen Sondierungsgesprächen zwischen den Parteien. Am Schluss einigten sich ÖVP und FPÖ Ende Jänner 2000 binnen einer Woche auf eine Koalition. Laut Schüssel entsprach das Koalitionspaket zu 95 Prozent dem soeben gescheiterten Arbeitsübereinkommen von SPÖ und ÖVP. Haider hatte sein Ziel, die FPÖ in Regierungsverantwortung zu bringen, erreicht, legte die Funktion des FPÖ-Parteiobmanns zurück und konzentrierte sich auf Kärnten. Bundespräsident Thomas Klestil vergatterte Schüssel und Haider dazu, eine Präambel zu unterschreiben, die dem Regierungsprogramm vorangestellt wurde. Sie strotzte vor Hinweisen auf die historische Schuld Österreichs im 20. Jahrhundert und enthielt die Verpflichtung, sich der EU bedingungslos unterzuordnen.
Niedergang in Regierung
Damit hatte sich die FPÖ bei vielen Themen von Anfang an selbst gefesselt. Doch auch das nützte nichts: Innen- wie außenpolitisch hagelte es Proteste ungeahnten Ausmaßes. Die EU verhängte mit den Stimmen aller anderen 14 Mitglieder Sanktionen gegen Österreich. Ohne Haider in der Bundesregierung und als empfundenes "Beiwagerl der ÖVP" ging es schon nach einigen Monaten mit den Umfragewerten der FPÖ bergab. Ende des Jahres 2000 setzte es bei Landtagswahlen in der Steiermark sowie im Burgenland Verluste. Im März 2001 folgte in Wien ein sattes Minus von 7,8 Prozentpunkten. Es rumorte in den eigenen Reihen. Anfang September 2002 kam es in Knittelfeld zum Bruch innerhalb der Partei. Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Klubobmann Peter Westenthaler legten ihre Ämter nieder. Daraufhin rief ÖVP-Bundeskanzler Schüssel Neuwahlen aus, bei denen die FPÖ von 27 auf zehn Prozent einbrach. Als die FPÖ inhaltlich als von vielen gefühltes Anhängsel der ÖVP weitermachte, wurde die parteiinterne Kritik daran immer größer. Um einer internen Entmachtung - unter anderen durch den damaligen Wiener FPÖ-Landeschef Heinz-Christian Strache - zuvorzukommen, gründete Haider im April 2005 kurzerhand das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ). Schüssel führte die Koalition mit dem BZÖ weiter, das jedoch in Umfragen sank. Haiders Popularität war am Tiefpunkt. Bei der darauffolgenden Nationalratswahl am 1. Oktober 2006 schaffte das BZÖ mit dem reaktivierten Peter Westenthaler als Spitzenkandidaten mit 4,1 Prozent nur hauchdünn den Einzug ins Parlament. Haider konnte dabei im kleinen Kärnten - das einzige Bundesland, in dem er damals noch populär war - die Hälfte aller BZÖ-Stimmen verbuchen.
Comeback und mysteriöser Tod
Die Zeit für das BZÖ und Haider schien abgelaufen zu sein, bis es 2008 zu Neuwahlen kam. Haider kandidierte als Spitzenkandidat und trat in den Fernsehkonfrontationen souverän und staatsmännisch auf. Ganz massiv kritisierte er die Banken, als die Finanzkrise noch gar nicht richtig ausgebrochen war. In der bedeutenden "ORF-Elefantenrunde" vor der Wahl sprach er Klartext: "Was wir brauchen, ist der Schutz vor ruinösen Produkten; denn in Wirklichkeit sind die Banken eine riesige Mafia, die mit ihren ruinösen Produkten die ganze Welt vergiftet haben. ... Alle sind dabei. Die Deutsche Bank in Deutschland, die Landesbanken. In Österreich ist es die große Raiffeisen ..." ÖVP-Obmann Wilhelm Molterer daraufhin eindringlich: "Genau das darf man jetzt nicht tun." Haiders BZÖ verdreifachte sich fast bei der Wahl am 28. September 2008 und kam auf 10,7 Prozent. Mit aller Kraft setzte sich Haider für einen Wechsel im Land ein: "Jede Konstellation ist besser als Rot-Schwarz." Am 8. Oktober kam es das erste Mal seit dem Zerwürfnis 2005 zwischen ihm und FPÖ-Chef Strache zu konstruktiven Gesprächen. Beide zeigten sich danach bereit, gemeinsam mit der ÖVP in eine Regierung zu gehen. Doch am 11. Oktober 2008 war das alles kein Thema mehr: Nach offizieller Version kam Haider bei einem Unfall ums Leben, bei dem er mit 148 Kilometern pro Stunde in Lambichl bei Klagenfurt von der Straße abkam und sich mehrfach überschlug - mit 1,8 Promille Alkohol im Blut. Nach einer Abendveranstaltung mit einem Radio-Antenne-Interview soll er sich im Klagenfurter Schwulenlokal "Stadtkrämer" binnen einer Stunde mit Wodka volllaufen haben lassen, berichteten daraufhin die Medien. Doch Haider war bekannt dafür, so gut wie keinen Alkohol zu trinken (siehe auch Interview mit Peter Westenthaler). Das war einer von vielen Gründen, warum viele Menschen, vor allem in Kärnten, an einen Mord und nicht an einen Unfall glaubten.
Hypo-Lüge
Doch auch sonst blieb Haider nach seinem Tod ein großes Medienthema. Vor allem wurde ihm das Desaster der Hypo Alpe Adria und die folgende de-facto-Pleite Kärntens alleine in die Schuhe geschoben. Fakt ist jedoch, dass Haider die Hypo 2007 an die BayernLB verkauft hatte und im Dezember 2009 vom damaligen ÖVP-Finanzminister Josef Pröll zurückgeholt sowie verstaatlicht wurde. Pröll verabschiedete sich bald darauf aus der Politik zu Raiffeisen, der Fall Hypo wurde verschleppt, damit für den Steuerzahler zu einem Milliardengrab und der Hauptangeklagte Jörg Haider konnte sich nicht mehr wehren. Jahrelang schien es so, als ob die Politik und die Medien auch nach seinem Tod auf ihn angewiesen wären. Erst in jüngster Zeit wurde es etwas stiller um ihn. Er möge ruhen in Frieden.