Wer kennt das nicht - ein Schreibfehler von Til Schweiger, eine angeblich sexistische Unterwäsche-Werbung von Palmers oder ein Bericht über schlecht bezahlte Leiharbeiter bei Amazon - fast alles kann heutzutage einen Shitstorm im Internet auslösen. Der ehrwürdige Duden nimmt das Modewort jetzt sogar in seiner neuesten Ausgabe auf. Angst habe ich davor keine, ganz im Gegenteil: Ich genieße ihn.
Kolumne von Felix Baumgartner
Fragen Sie nicht, wer schon alles einen Shitstorm über sich ergehen lassen musste, sondern wer noch nicht? Die Reichweite eines in den unsozialen Netzwerken entstehenden Shitstorms ist quasi unbegrenzt. Musiker, Politiker, Sportler, Konzerne - jeder kommt irgendwann dran.
Hier ein paar Highlights aus der Welt des Online-Massenmobbings:
Karl Lagerfeld sorgte für Ärger, als er im französischen Fernsehen unverblümt erklärte, dass niemand dicke Frauen auf dem Laufsteg sehen wolle und Übergewichtige der Gesellschaft auf der Tasche lägen. Daraufhin haben ihn empörte Aktivistinnen wegen Diskriminierung angezeigt.
Bundeshymne und Song Contest
Die ehemalige österreichische Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, die ich zutiefst verachte, wollte einen Shit-Sturm gegen unseren Alpenrocker Andreas Gabalier auslösen, weil er auf die genderfreundliche Fassung der Bundeshymne gepfiffen hatte und weiterhin die schönere Originalversion sang. Dieser erbärmliche Versuch von Frau Heinisch-Hosek ging aber nach hinten los und nun war sie es, die sich im Epizentrum des Sturmtiefs wiederfand - Morddrohungen inklusive.
Auch einer meiner Lieblingsmusiker, der deutsche Soulsänger Xavier Naidoo, musste erkennen, dass er, wie im richtigen Leben, auch im virtuellen nicht nur Freunde hat. Nachdem bekannt geworden war, dass Naidoo für Deutschland beim Song Contest 2016 in Schweden antreten sollte, braute sich im World Wide Web schnell ein Shitstorm zusammen. Ganze 30.000 Facebooker und Twitterer hatten sich mit zahlreichen Initiativen gegen ein Antreten Naidoos formiert. Sie waren der Meinung, er sei antisemitisch, homophob, rechtspopulistisch und ein Verfassungshetzer. Daraufhin beschloss ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber, Naidoo als ESC-Kandidaten umgehend wieder aus dem Song Contest-Verkehr zu ziehen.
Hilfe für kurvige Blondine
Auch der österreichische Unterwäsche-Hersteller Palmers hat nach einem Shitstorm den Schwanz eingezogen. Bei einem Werbesujet zu Ostern wurde er wegen eines Bildes mit dem Titel "Osterhöschen" heftig kritisiert. Angeblich wurden die abgebildeten Models "in einer sexualisierten und entwürdigenden Weise" dargestellt. Sie würden "an Minderjährige erinnern" und "rein als Blickfang dienen". Der Werberat hat den Unterwäschehersteller aufgefordert, die Kampagne "sofort" zu stoppen.
Die Diskussion um das Sujet hatte medial für einige Aufregung gesorgt und zu einer Auseinandersetzung zwischen mir und der Puls-4-Moderatorin Corinna Milborn geführt. Ihre an mich gerichtete Videobotschaft, in der sie mir Sexismus andichten wollte, brachte der kurvigen Blondine auf ihrer Facebook Seite noch nie da gewesene 61.000 Likes ein. Im Durchschnitt bekommt sie unter 100 Likes für ihre Postings, was wiederum eindrücklich zeigt, dass man mit einem künstlich inszenierten Prominenten-Shitstorm auch wunderbar das eigene Image aufpolieren kann.
Weltweite Nachschulung
Man kann einen Shitstorm aber auch nutzen, um auf die Diskriminierung der eigenen Rasse aufmerksam zu machen, wie der jüngste Skandal rund um die Kaffee-Kette Starbucks eindrücklich zeigt. Der Manager einer US-Starbucks-Filiale in Philadelphia rief die Polizei, weil zwei schwarze Männer in seinem Lokal saßen und nichts konsumierten. Als die beiden Männer dann auch noch die Toilette benutzen wollten, wurde ihnen das verweigert, da sie nichts bestellt hatten. Die Polizeibeamten haben die beiden dreimal dazu aufgefordert, die Filiale zu verlassen, sie haben sich aber geweigert. Deshalb seien sie verhaftet worden. Als dieser Vorfall dann per Handy-Video den Weg ins Netz gefunden hatte, wurde der Unmut in den sozialen Medien immer größer. So groß, dass der Starbucks-Konzernchef zu Kreuze kriechen und sich öffentlich entschuldigen musste und hoch und heilig versprochen hatte, dass alle Starbucks-Mitarbeiter weltweit nachgeschult werden.
Alle gewinnen - außer Ängstliche
Was lernen wir daraus? Ein Shitstorm kann funktionieren, muss aber nicht.
Im Falle von Großkonzernen funktioniert er jedoch fast immer. Imageverlust und die damit verbundenen Gewinneinbußen treiben die Verantwortlichen in die Ängstlichkeit und sie geben nach. Ich bin der Meinung, zu Tode gefürchtet ist auch gestorben und genau deshalb habe ich keine Angst vor einem Shitstorm. Im Gegenteil, ich genieße ihn.
Es gewinnen alle bei einem Shitstorm. Für die Presse und die Berufsempörer ist es eine wunderbare Gelegenheit, im Kollektiv auf jemanden einzudreschen und den Frust über die eigene Erfolglosigkeit abzubauen.
Den wirklich Erfolgreichen schadet das kaum. Wie auch? Man bleibt im Gespräch, polarisiert und konzentriert sich aufs nächste Ziel. Schließlich ist man auf dem Weg zum Erfolg schon steinigere Wege gegangen, was ist da schon ein Shitstorm?
Voller Terminkalender
Xavier Naidoo singt immer noch in ausverkauften Konzerthallen, mein Terminkalender ist voll mit Vorträgen, Events sowie Promotion-Auftritten, und ich kenne auch keine einzige Frau, die wegen Karl Lagerfelds Aussagen ihre Chanel-Handtasche zurückgegeben hätte.
Der nächste Shitstorm kann also kommen!