Die Cyborgs kommen

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Der nächste Schritt der Evolution geht unter die Haut. Mensch und Maschine verschmelzen zu einem Cyborg. Mit Chip-Implantaten kann man schon jetzt den eigenen Körper modifizieren, die Sinne erweitern und etwa Türschlösser öffnen. In Zukunft soll aber noch viel mehr möglich sein. Text: Helmut Berger

 

Man dreht sich im Kreis. Bis es am Körper plötzlich vibriert. Ein Zeichen dafür, dass man nach Norden schaut. Was da vibriert, ist ein Chip mit dem passenden Namen North Sense. Für nur 350 US-Dollar wird man zum menschlichen Kompass. Da fragt man sich natürlich, wozu das gut sein soll. Liviu Babitz, CEO und Gründer von Cyborg Nest, der Gruppe, die den Chip entwickelt hat, erklärt: „Das Hauptziel von Cyborg Nest ist es, so vielen Menschen wie möglich dabei zu helfen, Cyborgs zu werden und ihre Sinne zu erweitern.“ Und der Nordsinn soll in vielen Bereichen ein besonders wichtiger sein. Im Feng Shui zum Beispiel. Jedenfalls, richtet man sich entsprechend aus, fühlt man sich angeblich mit der Erde verbunden. Das soll zu einem besseren und kreativeren Leben führen. Natürlich, man könnte auch einen Kompass verwenden. Jeder, der ein Smartphone hat, hat immer einen dabei. Aber durch North Sense wird man eins mit diesem Sinn und verwendet ihn nicht nur, wenn man gerade daran denkt. So soll der Chip den Träger auf natürliche Weise lenken. Willkommen in der Zukunft.

Die digitale Evolution des Menschen
Ein Cyborg ist ein Mischwesen aus einem lebendigen Organismus und einer Maschine. Mit dem Begriff meint man meistens Menschen, deren Körper mit künstlichen Bauteilen erweitert werden. Zum ersten Mal verwendet haben ihn übrigens der österreichisch-australische Wissenschaftler Manfred Clynes und der US-amerikanische Mediziner Nathan S. Kline in einem gemeinsamen Aufsatz in den Sechzigerjahren. Und auch wenn man vielleicht glaubt, dass es Cyborgs nur in Science-Fiction-Filmen und -Serien gibt, so sind sie doch längst in der Realität angekommen.

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Der 1982 geborene Neil Harbisson ist der erste staatlich anerkannte Cyborg. Der farbenblinde Brite kann mit einer Antenne am Kopf, Eyeborg genannt, Farben hören. Harbisson ist übrigens bildender Künstler und Komponist. Robin Ekenstam hat 2009 eine fühlende Roboterhand bekommen. „Es ist großartig. Ich habe ein Gefühl, das ich lange nicht mehr hatte“, hat der Cyborg damals gesagt. Ein mit dem Gehirn verbundener Chip hat an der Universität Tübingen neun Blinde zu Sehenden gemacht. Sie konnten zum Beispiel Licht sowie Umrisse von Menschen und Gegenständen erkennen. Und mit EEG-Stirnbändern, die die Hirnwellen messen, lassen sich Dinge wie Roboter oder Spielzeughubschrauber steuern. Per Gedankenkraft. Und man hat sogar schon zwei Gehirne über das Internet miteinander verbunden. Aber im Grunde ist jeder Mensch, der etwa einen Herzschrittmacher, eine komplexe Prothese oder ein Cochlea-Implantat hat, ein Cyborg. Und es werden immer mehr. Denn die technischen Innovationen sollen bald allen, die es wollen, neue Sinne und Fähigkeiten verleihen. Der Mensch wird aufgemotzt. Wie ein Auto.

Ein Chip als Universalschlüssel
Chips, die unter die Haut gehen, sind bisher vor allem bei Hunden und Katzen eingesetzt worden. Um sie zu identifizieren, wenn sie entlaufen waren. Unter menschlicher Haut können die Chips aber noch viel mehr. Zuerst wird die Eintrittsstelle – meist zwischen Daumen und Zeigefinger – desinfiziert. Dann kommt eine betäubende Salbe drauf. Und anschließend wird der von einer Kapsel geschützte und etwa eineinhalb Zentimeter große NFC-Chip (Near Field Communication) unter die Haut gespritzt. Auf der CeBIT 2016 in Hannover gab es während der Happy Hour so ein Chip-Implantat der Firma Digiwell gratis. Das ist mit einer App verbunden. So kann man zum Beispiel seine Visitenkarte auf den Chip übertragen und anderen Smartphone-Nutzern zur Verfügung stellen. Wie ein Hund oder eine Katze ist man somit immer und überall identifizierbar. Aber das ist längst nicht alles. Stichwort: Internet of Things. Die Tür zum vernetzten Zuhause lässt sich schon jetzt mit einem Chip-Implantat öffnen. Einfach die Hand zum Spezialschloss halten, und Sesam öffnet sich. Für Computer gibt es Geräte, die die Chips lesen können und damit Passwörter überflüssig machen. Und auch jede Mitgliedskarte, etwa fürs Fitnessstudio, machen die Chips überflüssig. Mit denen wird man auch bargeldlos zahlen können. Eine Handbewegung, und alles ist erledigt. Der Vorteil: Man kann den Chip nicht verlieren. Schließlich befindet er sich unter der Haut.

Ein Blick in die Zukunft
Künftig kann also jeder, der möchte und es sich leisten kann, seinen Körper modifizieren. Und seine Fähigkeiten erweitern. In zehn bis fünfzehn Jahren, schätzen manche Experten, könnten im Gehirn implantierte Chips eine direkte Verbindung zwischen Mensch und Internet herstellen. Was das heißt? Ein Beispiel: Man fliegt nach Spanien, kann aber leider kein Spanisch. Kein Problem. Man streamt sich die Sprache einfach direkt in den Kopf. Weil das aber genauso kompliziert ist, wie es sich anhört, glauben manche Wissenschaftler, dass es eher 20 bis 30 Jahre dauern wird, bis das möglich ist. Aber es wird möglich sein. Früher oder später.

So ein Chip-Implantat macht zwar vieles leichter, natürlich gibt es aber Bedenken. Einfach so eine Sprache ins Gehirn streamen, das ist nicht nur eine gruselige Vorstellung, es wird auch nicht billig werden. Es könnte ein Markt entstehen, an dem mit Fähigkeiten gehandelt wird wie heute mit Apps. Wer viel Geld hat, bekommt Zugang zu vielen Informationen. Hat man kein Vermögen, hat man Pech gehabt. Aber so weit muss man gar nicht in die durchaus noch ungewisse Zukunft schauen. Wenn sich die Technik durchsetzt, wird es viele Lesegeräte im öffentlichen Raum geben, die die Informationen auf den Chips entschlüsseln. Sind die dann vernetzt, wovon man ausgehen muss, kann man ganz leicht ein Bewegungsprofil des Trägers erstellen. Auch Konsumgewohnheiten lassen sich besser erfassen. Kriminelle könnten solche Lesegeräte manipulieren. Und, um ein ganz düsteres Bild zu zeichnen und Verbrecher schon einmal auf blöde Ideen zu bringen: Hackt man jemandem die Hand ab, kann man damit auch seine Identität stehlen. Natürlich wird es entsprechende Sicherheitsmaßnahmen geben. Schließlich kann man auch die Kreditkarte sperren lassen, wenn sie gestohlen wird. Hand abhacken, das wird sich nicht lohnen. Die Bedenken sind trotzdem groß. Was die Zukunft bringt, wird man sehen. Vielleicht gibt es schon bald nur noch Cyborgs.

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