Die vielen Gesichter der Angst

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Die Welt brennt. Terroranschläge, Amokläufe, Finanzkrisen, Klimawandel, Brexit, Trump - alles roger? hat Menschen auf der Straße gefragt, wovor sie Angst haben. Und Experten verraten, wie man damit umgeht.

Text & Fotos: Sarah Hartl und Elena Ott

Spaziert man über den Brunnenmarkt im 16. Wiener Gemeindebezirk, hat man den Eindruck, dass die Welt hier noch in Ordnung ist. Die Luft duftet nach orientalischen Gewürzen. Die Standler bieten Kostproben exotischer Obstsorten an. Die Menschen lachen. Aber als wir uns mit ihnen unterhalten, wird schnell klar: Die Angst ist ihr ständiger Begleiter. Sie ist in ihren Köpfen. Sie lässt die Leute misstrauisch und vorsichtig werden. Sie verändert die Art und Weise, wie sie die Welt sehen. Wie sie mit anderen umgehen. Wie sie leben. "Der Terror wird immer mehr zum Alltag", sagt die 16-jährige Jana aus Wien.

Unbegründete Furcht
Allgegenwärtig ist es die Furcht vor zwei Wörtern. Allahu akbar. Gott ist groß. Sprengstoff. Terror. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlags zu werden, liegt bei etwa eins zu 27 Millionen. Trotzdem hat man mittlerweile ein mulmiges Gefühl, wenn man auf einem Platz voller Menschen steht, oder ein Mann mit dunkler Hautfarbe und Rucksack in die U-Bahn einsteigt. Angstforscher Borwin Bandelow erklärt, das Vernunftgehirn habe längst verstanden, dass die Wahrscheinlichkeit relativ gering ist, Opfer eines Anschlags zu werden. "Auf der anderen Seite gibt es aber ein Angstsystem in unserem Gehirn, das sehr einfach gestrickt ist. In etwa wie das eines Huhns."
Und dieses Angstsystem redet einem Restzweifel ein. Was ist, wenn der Mann wirklich ein Terrorist und in seinem Rucksack eine Bombe ist? Und schon hat man ein seltsames Gefühl. Menschen mit dunkler Hautfarbe bekommen das täglich zu spüren. Der aus Jerusalem stammende Ashraf erzählt uns, dass er selbst keine Angst habe, aber: "Die Österreicher haben wegen meiner Hautfarbe Angst vor mir."

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Bandelow meint, man müsse lernen, die Angst auszuhalten, und versuchen, mit dem Vernunftgehirn gegen die Furcht vorzugehen. Denn statistisch gesehen ist es immer noch sehr unwahrscheinlich, dass man bei einem Terroranschlag stirbt. Viel eher kommt man bei einem Haushalts- oder Freizeitunfall ums Leben. Und noch ein Tipp vom Experten: Einfach einmal keine Nachrichten schauen. "Es schadet keinem, wenn er sich mal eine Auszeit nimmt und sagt: ?Ich will das alles nicht mehr hören.'" Auch Brigitte Lueger-Schuster, Psychotraumatologin an der Universität Wien, ist der Meinung, dass Menschen sich an Konfliktsituationen gewöhnen. Trotzdem rät sie jedem, der sich von den schlechten Nachrichten erschlagen fühlt, "nicht pausenlos im Internet und Fernsehen nachzuschauen, ob wieder was passiert ist und sich nicht darauf zu fokussieren, was als nächstes passiert".

Mangelnde Medienkompetenz
Über die Sozialen Medien wie Facebook oder Twitter verbreiten sich verzerrte Bilder der Realität besonders schnell. Quellen, die man als glaubwürdig einstuft, sind es oft nicht. Der Kommunikationswissenschaftler Friedrich Hausjell macht das Bildungssystem dafür verantwortlich: Man habe es versäumt, Medienkompetenzen zu vermitteln, mit denen man die Glaubwürdigkeit der Quellen beurteilen kann. Er hat den Eindruck, "dass die Menschen, die sehr viel in den sozialen Medien unterwegs sind, tendenziell die unglücklicheren Menschen sind". Die 45-jährige Helen aus Zürich, die wir beim Wiener Rathaus zum Thema Angst befragen, bestätigt die These und sagt: "Durch Social Media wird man aufgewühlter und auch aggressiver."

"Zuspitzungen, wo innerhalb weniger Tage oder Wochen viele angsteinflößende Ereignisse passieren, sind wirklich nichts Neues", meint Hausjell. "Wenn man die Zahl der Opfer bei Terroranschlägen in Europa mit solchen im Irak oder anderen arabischen Staaten vergleicht, ist diese sehr niedrig. Auch in den Siebziger- und Achtzigerjahren waren deutlich höhere Opferzahlen aufgrund des Terrors zu registrieren." Aber warum haben wir dann den Eindruck, dass heute mehr passiert als früher? "Das hat mit den veränderten Medienverhältnissen zu tun", sagt der Experte. Mustafa, ein 34-jähriger Kebapstandler am Gürtel, meint dazu: "Die Leute werden von den Medien manipuliert. Ich bin schon lange nicht mehr auf Facebook."

Nur den Medien kann man aber auch nicht die Schuld geben. Schließlich erfüllen sie die Wünsche des Publikums. "Die Leute sind richtig sensationsgeil", sagt Helen. Ihre Tochter schaut keine Nachrichten mehr. "Überhaupt nichts mehr zu lesen, halte ich nicht für eine sehr kluge Entscheidung", sagt Hausjell. "Es ist zwar verständlich, aber man sollte sich in der Medienwelt genau umsehen und sich mit den Medien beschäftigen, die nicht mit der Angst spielen, sondern versuchen, möglichst gute Aufklärung zu schaffen."

Falsche Helden und unfreiwillige Helfer
Alle Menschen, die wir in Wien befragt haben, sind überzeugt: Presse und Fernsehen manipulieren die Leute durch die großteils negative Berichterstattung. Sie schüren Ängste und Hass und verhindern eine objektive Sicht auf die Wirklichkeit. Gernot aus Wien, den wir im Rathauspark treffen, macht sich darüber auch Gedanken: "Wenn ständig negatives Bewusstsein durch die Medien geschaffen wird, dann wird das auch in der Realität manifestiert." Und Tina, eine 25-jährige Mutter, stört es, dass "psychisch kranke Menschen als IS-Kämpfer heroisiert und als Helden dargestellt werden. Das ist genau das, was von denen bezweckt wird. Man sollte sie vielmehr als arme Würstchen darstellen." Auch der Kommunikationswissenschaftler Hausjell fordert eine "zurückhaltende Abbildung der Täter, damit man als Medium nicht zum unfreiwilligen Helfer der Terroristen" wird. Gerade bei Amokläufen könnten Nachfolgetaten durch starke Berichterstattung provoziert werden.

Als wäre nichts gewesen
Brigitte Lueger-Schuster meint, man solle Orte oder Aktivitäten nicht aus Sorge meiden. "Wenn unser normales Leben zum Erliegen kommt und wir Angst haben, dass dauernd was passieren könnte, dann haben die Terroristen ihr Ziel, eine permanente Schockstarre zu erschaffen, erreicht", erklärt die Psychotraumatologin. Die meisten Menschen, mit denen wir gesprochen haben, leben ihr Leben aber ohnehin, wie sie es immer schon getan haben. Die Furcht kann sie offenbar von nichts abhalten. Obwohl sie sich sicher sind, dass es zu einer Eskalation kommen wird. Sei es ein dritter Weltkrieg, die Spaltung der Gesellschaft oder weitere Anschläge. Auch in Österreich. An der U-Bahn-Station Josefstädter Straße treffen wir dann aber die Studentin Karin, die im Winter den Weihnachtsmarkt meidet. "Weil ich bei so großen Menschenansammlungen ein mulmiges Gefühl habe." Die Angst, so unbegründet sie vielleicht auch sein mag, sie ist eben doch allgegenwärtig.

"Es müsste auch in Wien was passieren, damit ich Angst hätte."
Ida, 17 Jahre, Wienerin

"Ich habe keine Angst, das haben nur die, die was Schlechtes im Leben gemacht haben. Ich würde aber nicht mit Goldketten behängt auf die Straße gehen."
Slavok, 50

"Es ist unwahrscheinlich, dass in Wien nichts passieren wird, weil es gibt zu viele Asylanten. Es ist schon schlimmer geworden. Fast täglich passieren Stechereien und Schlägereien."
Alexander, 20

"Die Rechten sagen immer gleich, alles ist islamistisch motiviert, obwohl es sich um Einzelfälle handelt. Ich werde oft beim Entlangehen an der Ottakringerstraße gefragt, ob ich Gras kaufen will, das ist schon mühsam. Ich ertappe mich, wie ich um potenzielle Dealer wegen ihrer Hautfarbe einen Bogen mache. Das ärgert mich."
Serkan, 23

"Die Medien spielen eine Große Rolle bei der Angstverbreitung. Wir rechnen damit, dass es in Wien bald scheppert. Aber wir würden uns nicht einschränken lassen, weil dann hat der Terrorismus gewonnen"
Patrick und Benjamin

"Ich glaube nicht, dass mir in Wien was passiert, weil es hier sehr sicher ist. Die Polizei hier leistet gute Arbeit."
Hassan, 37

"Ich bin hier geboren, wovor sollte ich Angst haben? Ich bin ein Mann, ich hab keine Angst. Aber eine Frau sollte hier am Abend nicht alleine rumgehen."
Esad, 28

"Ich habe keine Angst, ich kann die Situationen in Wien und Istanbul sehr gut vergleichen. Es beunruhigt mich, dass die rechten Parteien aufsteigen."
Eren, 22

"Angst habe ich nicht direkt, aber Bedenken schon. Ich frage mich, wo ist man noch sicher?
Es betrifft uns jetzt alle. Es könnte sein, dass was passiert, aber da Wien politisch neutral ist und nicht so dominant wie Deutschland oder Belgien, glaube ich nicht."
Maja, 25

"Ich habe immer ein mulmiges Gefühl und versuche in der Öffentlichkeit wachsamer zu sein. Letztes Jahr ließ ich sogar den Christkindlmarkt am Rathausplatz aus, weil mir da zu viele Leute waren."
Karin, 27

"Ich persönlich meide keine Events oder öffentliche Plätze, spüre aber die Angst der Menschen. Die Österreicher haben wegen meiner Hautfarbe auch Angst vor mir. Die Medien manipulieren die Wahrheit und zeigen nur das, was sie wollen."
Ashraf, 38

"Es ist furchtbar, denn 80-90% des medialen Stroms ist negativ. Wenn ständig negatives Bewusstsein durch die Medien geschaffen wird, dann wird das auch in der Realität manifestiert."
Gernot, 29

"Ich komme aus der Türkei, da sterben jeden Tag Menschen, und meine Wohnung dort ist mitten im Terrorgebiet. Im Vergleich dazu ist es in Österreich sehr sicher. Aber das Ganze kommt langsam hier her nach Wien. Alle wollen natürlich in Europa leben."
Gümüs Hassan, 54

"Terroristen werden von den Staaten finanziert. Wir werden manipuliert und die Leute trauen sich nicht mehr raus. Ich selbst fahre nicht mehr öffentlich, nur noch mit dem Auto. Ich meide auch öffentliche Versammlungen und Menschenmassen."
Anel, 24

"Die Medien haben einen negativen Einfluss auf die Menschen. Teilweise schreiben die Medien falsche Sachen, beispielsweise über den 18-Jährigen in München. Der wurde gleich mit dem IS in Zusammenhang gebracht."
Anja, 27

"Die Politiker erfüllen, was ihre intellektuelle Kapazität angeht, nicht wirklich ihre Aufgabe. Die Leute werden von den Medien manipuliert. Soziale Netzwerke sollte niemand konsumieren. Ich selbst bin schon lange nicht mehr auf Facebook."
Mustafa, 34

"Ich blicke der Zukunft vertrauensvoll entgegen."
Gerda, 70

"Die Medien berichten auch bei uns sehr negativ. Die Leute sind richtig sensationsgeil. Durch Social Media wird man aufgewühlter und sicher auch aggressiver. Ich schaue keine Nachrichten mehr und Radio höre ich auch nicht, das ist mir alles zu viel geworden."
Helen u. Eva aus der Schweiz

"Vor allem die ungewisse Zukunft macht mir Angst. Die Sicherheit ist nicht mehr so gut wie früher. Es ist eine Glückssache. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Jeder normale Mensch kann aber sein Hirn benutzen und selbst entscheiden, wohin er auf Urlaub fährt."
Katja, 24, Touristin aus Bayern

"Man muss prinzipiell mit der Tatsache leben, dass etwas passieren kann. Es stört mich, dass psychisch kranke Menschen als IS-Kämpfer heroisiert und als Helden mit Fahnen dargestellt werden. Das ist genau das, was von denen bezweckt wird. Man sollte sie vielmehr als arme Würstchen darstellen."
Tina, 25

"Mir gaben die Anschläge in München schon zu denken. In Wien fühle ich mich aber nicht unwohl. Die Medien müssen einerseits drüber berichten, andererseits ist es eine Angstmache."
Martina, 28, Biologiestudentin aus Innsbruck

"Nationalistische Bewegungen werden als Antwort auf den Terror immer stärker. Wir glauben, dass ein Weltkrieg in naher Zukunft möglich ist. Gerade für unsichere, junge Menschen, bieten extreme, islamistische Gruppen ein Auffangbecken, wo sie sich dazugehörig fühlen können."
Alexandra und Alim

"Die Österreicher wollen jetzt auch eine starke Grenze haben. Die Leute müssen sich anpassen, wenn sie zu uns kommen, das musste ich auch und das verlange ich auch von denen. Der dritte Weltkrieg kommt bestimmt in den nächsten 5 Jahren."
Ferenc, 37

"Ich habe Angst vor einer gespaltenen Gesellschaft, wo kein Dialog mehr da ist und wo man Vorurteile hat, ohne darüber zu reden. Ich glaube, dass die Menschen schön langsam durchdrehen, wegen der negativen Berichterstattung und den Realitätssinn verlieren. Ich würde nicht in die Türkei oder aufs Oktoberfest fahren."
Johannes, 32

"Ich finde den Rechtsdrall in Europa beängstigend.Terrorattacken können immer passieren. Aber vor allem in Großbritannien leben wir weiter wie immer, deshalb können diese Organisationen bei uns nicht siegen."
Annie, 19 aus Großbritannien

"Ich habe keine Angst vor organisiertem Terrorismus. Generell ist sicher eine Angst vor Immigration da.Wegen dem Brexit wächst der Nationalismus. Wir vergessen die Fehler, die wir in der Vergangenheit begangen haben und die Geschichte wird sich allmählich selbst wiederholen."
Katie, 18 aus Großbritannien

"Es wird keinen dritten Weltkrieg geben, weil die Gesellschaft sich verändert hat."
James, 17 aus Großbritannien

"Vor drei Tagen starben in Kabul bei einem Anschlag 80 Menschen, aber da hört man nicht so viel wie über die drei Verletzten in Deutschland bei dem Festival. Die US-Wahlen sind ja bald, ich sehe das eher als Intelligenztest. Wenn Trump gewinnt, bin ich aber ratlos, wie es weitergeht."
Anatol, 24

"Die Alternative ist der totale Überwachungsstaat, das wollen wir aber auch nicht. Darauf wird aber hingearbeitet. Schon seit 20 Jahren wird das durch Internet vorangetrieben. Die Welt steuert auf eine Eskalation hin."
Thomas, 48

"Ich habe Angst vor einem Bürgerkrieg und Aufständen. Wien ist neutral, deshalb wird kein
Terroranschlag passieren. Ich würde aber grad nicht in die Türkei fahren."
Alina, 17

"Ich habe Angst vor Terroranschlägen. Aber ich lasse mich noch nicht einschränken.
Der Terror wird immer mehr zum Alltag."
Jana, 16

"Ich habe Angst vor der Spaltung der Gesellschaft und dass kein friedliches
Zusammenleben mehr möglich sein wird. Die Spekulationen von den Medien kommen aber den rechten Parteien zugute, und so wird Angst vor dem Fremden geschürt."
Maria, 21

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