Sie brachte uns Freiheit, Ansehen und Frieden: die immerwährende Neutralität. Obwohl wir sie am Nationalfeiertag feiern, hat sie die Regierung seit dem EU-Beitritt scheibchenweise entsorgt. Ihre Wiederbelebung ist gerade jetzt dringender denn je, mahnt der angesehene Ökonom und Buchautor Heinrich Wohlmeyer. Text: Klaus Flaißner
Österreichische Soldaten oder Offiziere sind in Afghanistan, im Kosovo und bald auch in Jordanien im Einsatz - unter dem Kommando der NATO. Außenminister Sebastian Kurz war der Erste, der sich für EU-Sanktionen gegen Russland stark machte. Tausende NATO--Militärtransporte gingen durch Österreich in die Ukraine, um die dortige Putschregierung zu unterstützen. Und Verteidigungsminister Wolfgang Doskozil gibt zu, dass Österreich "der NATO in der täglichen militärischen Arbeit mit Sicherheit näher als Russland" steht. War da nicht etwas, das unsere Politiker bei alldem im Vorhinein hätten bedenken müssen? Ja, die immerwährende Neutralität. Bis heute ist sie tief in den Herzen der Österreicher verankert. Ihrer gedenken wir am Nationalfeiertag. Besser gesagt: Wir feiern die Unterzeichnung des Neutralitätsgesetzes vom 26. Oktober 1955. Die Neutralität hat für Österreich somit die gleiche Bedeutung wie die Wiedervereinigung für Deutschland oder der Unabhängigkeitstag für die USA. Trotzdem wurde sie seit dem EU-Beitritt 1995 Schritt für Schritt zu Grabe getragen.
"Die Wiederbelebung der Neutralität nach Schweizer Muster wäre ein Gebot der Stunde", appelliert Heinrich Wohlmeyer an alle verantwortlichen Politiker. Zeit seines Lebens wirkte der Universitätsprofessor, Ökonom und Buchautor ausgleichend - so wurde er als Wirtschaftsmanager von der Arbeiterkammer ausgezeichnet. Außerdem ist er Großneffe des ehemaligen Staatsvertrags- und Neu-tralitäts-Bundeskanzlers Julius Raab. Wohlmeyer sieht die akute Gefahr eines Dritten Weltkriegs auf uns zukommen. Brennpunkte seien der Nahe Osten und Osteuropa, wo der russische Bär von der NATO ständig gereizt werde.
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Austritt aus NATO-Partnerschaft und EU
Österreich stecke in der Eskalationsspirale mittendrinnen: "Wir vollziehen die eindeutig völkerrechtswidrigen Sanktionen gegen Syrien und gegen Russland mit, obwohl die noch im Verfassungsrang stehende immerwährende Neutralität verbietet, für eine Konfliktseite aktiv Partei zu ergreifen", so Wohlmeyer. Weiters schadete eine Nicht-Neutralitätspolitik mit Sanktionen der österreichischen Wirtschaft und damit auch dem Wohlstand. Als erster Schritt müsse Österreich die Partnerschaft mit der "Aggressionsorganisation" NATO kündigen und die militärische Zusammenarbeit mit NATO-Ländern aufgeben. Zusätzlich sei ein Austritt aus der EU unvermeidlich, um die Neu-tralität voll wiederherzustellen.
Österreich könnte dann - zusammen mit der ebenfalls immerwährend neutralen Schweiz - durch eine aktive, glaubhafte Neutralitätspolitik die Gefahr eines verheerenden Weltkriegs mildern oder sogar bannen. Wohlmeyer schlägt die Abhaltung einer syrischen Friedenskonferenz vor, an der nur die lokalen Ethnien, Religionen und Stämme teilnehmen dürften - ohne die ausländischen Großmächte, die hier Krieg "spielen". Als Ergebnis sollte ein Weißbuch für Syrien entstehen, das ungeschminkt alle Täter der Katastrophe beim Namen nennen und den Fahrplan zum Frieden aufzeigen müsste.
"Politiker müssen Neutralität schützen"
Doch die Abwendung von der Neutralität bedroht nicht nur Frieden und Wohlstand, sondern ist auch verfassungswidrig. Dies hatte der im vorigen Jahr verstorbene Ex-Justizminister Hans Klecatsky immer wieder betont. Im Neutralitätsgesetz erklärt Österreich "zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit" seine "immerwährende Neutralität" und verspricht, "in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen" beizutreten. Bei gleich drei Ewigkeitsbegriffen - "dauernd", "immerwährend" und "in aller Zukunft" - dürfe diese Verfassungsnorm nicht durch Politiker beseitigt oder eingeschränkt werden. Bundespräsident und Bundesregierung sind laut Klecatsky verfassungsrechtlich verpflichtet, "die Neu-tralität der Republik positiv zu schützen - auch "geistig", "zivil", "politisch", nach allen Seiten hin, also auch gegenüber der EU". Nur ein Einziger dürfe die Neutralität antasten: das Volk in einer Volksabstimmung.
Klecatsky setzte sich auch wegen der Neutralität vehement für den Austritt aus der EU ein. Und er gab zu bedenken: "Neutralität bedeutet Beitrag zum Frieden in der Welt, der niemals ein für allemal gesichert ist." Wohlmeyer ergänzt: "Das sollte man auch bei der Bundespräsidentenwahl bedenken." Für Norbert Hofer habe die Neutralität einen Wert, für Alexander Van der Bellen nicht.