Landeshauptmann Hans Niessl hat nicht nur in der Flüchtlingsfrage den Schwenk in seiner Partei vorgegeben, er wurde in den vergangenen Wochen auch zum einflussreichsten Regisseur in der gesamten SPÖ. Er regiert im Burgenland seit einem Jahr erfolgreich mit der FPÖ und führt nun auch die Bundes-SPÖ zu einer bedeutenden Annäherung in Richtung politische Normalität: Das Ende der Ausgrenzung und die Öffnung zu einer mög-lichen rot-blauen Koaltion. Im alles roger?-Exklusivinterview mit Peter Westenthaler erklärt Niessl, wie er den Flüchtlingsansturm im Burgenland bewältigt hat, wie er die umstrittene Mindestsicherung kürzen möchte, was er sich vom neuen Kanzler erwartet, wie er die SPÖ Richtung FPÖ öffnen will und warum mit Teilen der ÖVP kein Staat zu machen ist.
Hans Niessl, der neue "Hans Dampf in allen Gassen" der SPÖ? Kaum ein anderer Politiker ist in den vergangenen Wochen medial so deutlich in Erscheinung getreten wie du. Ist das eine bewusste, neue Führungsrolle innerhalb der Partei?
Nein, ich sehe mich da nicht in einer neuen Rolle, sondern vielmehr als jemand, der innerhalb der Partei, aber vor allem auch aus der Sicht des burgenländischen Landeshauptmanns darauf hingewiesen hat, wo Handlungsbedarf besteht. Ich habe auf einige Entwicklungen schon sehr früh aufmerksam gemacht, wie etwa die nötigen Grenzkontrollen, Assistenzeinsatz, mehr Geld für Bundesheer und Polizei usw. Da wurde ich anfangs belächelt und kritisiert - auch in der eigenen Partei. Aber letztlich haben sich meine Einschätzungen durchgesetzt, und heute ist jedem bewusst, dass die Grenzen nicht nur in Österreich zu kontrollieren sind, sondern in fast allen Staaten Europas. Ich bin auch sehr froh, dass Hans-Peter Doskozil nun Verteidigungsminister ist. Ihm ist gemeinsam mit dem Innenminister zuzutrauen, dass er die Herausforderungen bewältigt.
Folgendes Sonderangebot wurde exklusiv für Sie ausgesucht:
Alles roger? ist durch Click-Provision beteiligt.
Bleiben wir noch bei deiner Rolle innerhalb der SPÖ. In der Vergangenheit war die SPÖ immer von Wien dominiert. Bisher gab meist Michael Häupl Ton und Richtung vor, heute ist das anders. Ist Hans Niessl der neue Michael Häupl als Richtungsgeber und Vordenker innerhalb der SPÖ?
Man kann in der heutigen Zeit die SPÖ nicht mehr über einen Kamm scheren, sodass man meint, alles, was für Wien gut ist, hat auch für das Burgenland gut zu sein. Das südliche Burgenland - die Toskana Österreichs - schaut ganz anders aus als Wien. Das Burgenland ist das ländlichste Gebiet in Österreich, und Wien ist die Millionenstadt. Wer glaubt, dass die Sozialdemokratie die gleiche Politik für Wien und das Burgenland machen kann, der liegt falsch, weil es ganz andere Bedürfnisse und eine ganz andere soziologische Struktur der Bevölkerung gibt, auf die die Politik eingehen muss. Wir sehen uns als die pragmatische Breite in Österreich. Von den Sorgen der kleinen Einkommensbezieher bis zu den Klein- und Mittelbetrieben, die derzeit mit Problemen zu kämpfen haben.
Aber das sehr selbstbewusste öffentliche Auftreten des Burgenlandes innerhalb der SPÖ war nicht immer so. Plötzlich haut der Landeshauptmann öfter bundespolitisch auf den Tisch, wenn etwas nicht passt und das mit Wirkung.
Wenn man eine Überzeugung hat und auch der Meinung ist, dass es richtig ist, etwas selbstbewusst öffentlich zu sagen, dann soll man das auch tun. Nicht um des Selbstzwecks willens, sondern um unseren sehr pragmatischen Weg durchzusetzen. Ich wohne in der Nähe von Nickelsdorf und höre von vielen Menschen - etwa auch beim Roten Kreuz - was sich dort abspielt. Die 71 Toten, die es dort im LKW gegeben hat, haben sich angekündigt. Wir haben bereits im Vorfeld die Grenzkontrollen gefordert. Entscheidend ist dann etwas zu sagen, wenn es notwendig ist.
Der Beginn der Flüchtlingswelle nach Österreich war ja am früheren Grenzübergang Nickelsdorf und man hatte den Eindruck im Vergleich zum späteren Chaos an der Grenze zur Südsteiermark, dass man gut vorbereitet war. Hattet Ihr frühzeitig Informationen, was da auf Österreich zukommt?
Es hat sich abgezeichnet und meine Vorschläge habe ich nicht wegen einer Inszenierung gemacht, sondern weil wir gewusst haben, dass die Schlepper immer aktiver wurden, und immer mehr Menschen zu uns strömten. Der Shuttle-Dienst der Schlepper-Mafia zwischen Wien und Budapest wurde immer dramatischer. Polizei, Bundesheer und viele freiwillige Helfer haben letztlich zusammengehalten. Schließlich sind 300.000 Menschen über Nickelsdorf gekommen und es hat keinen einzigen Zwischenfall gegeben. Das gab?s nirgends. Das ist Menschlichkeit und Ordnung. Aber: Es waren nicht nur Kriegsflüchtlinge. Das hat zu einer gewissen Verunsicherung geführt, vor allem bei den Freiwilligen. Dolmetscher haben uns dann gesagt, dass viele gar nicht syrisch sprechen und auch keine Afghanen waren.
Es gibt doch jetzt ein regelrechtes Herumeiern rund um die sogenannte Notverordnung bei Erreichen der Asylobergrenz von 37.500. Die einen sagen, wir haben sie längst erreicht, die anderen sehen noch Spielraum. Wie siehst du das?
Das Wichtigste ist, dass es gar nicht zu den 37.500 kommt. Entscheidend ist, die Grenze zwischen Ungarn und Serbien schengenkonform zu gestalten. Wir sollten die Ungarn bei der Sicherung der Schengen-Außengrenze unterstützen, dann erübrigt sich die Diskussion um die Notverordnung. Österreichs Bundeskanzler Christian Kern muss mit Ungarns Premier Orban das abschließende Gespräch führen, um hier eine Lösung zu fixieren. Menschlichkeit und Ordnung haben Priorität.
Noch vor ein paar Wochen wäre eine Achse Österreich-Ungarn unmöglich gewesen, da es zwischen Faymann und Orban ein Nichtverhältnis gab - ein Fehler?
Ich gehe davon aus, dass es nun zu einem guten und notwendigen Dialog kommt. Wir im Burgenland haben da kein Problem damit - ganz im Gegenteil.
Aufreger Mindestsicherung für Asylanten. Wäre hier eine bundeseinheitliche Lösung wünschenswert - mit dem Signal, dass anspruchsberechtigte Österreicher, die bereits ins System eingezahlt haben, nicht benachteiligt werden?
Es braucht jedenfalls eine Reform. Es war nicht Grundgedanke des Gesetzes, dass 90.000 Flüchtlinge nach Österreich kommen und davon ein großer Teil die Mindestsicherung bekommt. Die Grundidee der Mindestsicherung war ursprünglich, Sprungbrett zum Wiedereistieg in den Arbeitsprozess zu sein. Wir müssen evaluieren und neue Kriterien für den Anspruch schaffen. Man muss klar definieren, dass alle Bezieher in Österreich auch Aufgaben haben, zum Beispiel dass sich Eltern um die Kinder in Ausbildung zu kümmern haben. Sachbezüge für Wohnen und Ausbildung sind ebenfalls zu formulieren. Wir werden das im Herbst diskutieren und vorschlagen, dass es auch zu Kürzungen kommt, wenn die neuen Kriterien nicht eingehalten werden. 838 Euro ohne Gegenleistung darf es jedefalls nicht geben.
SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar meint, es müssen mehr Migranten im öffentlichen Dienst aufgenommen werden. Ist das die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt?
Wir im Burgenland schauen darauf, dass wir Menschen, die hier leben in den öffentlichen Dienst aufnehmen. Bei steigender Arbeitslosgikeit muss man besonders auf Menschen Rücksicht nehmen, die bereits hier leben.
Von großem Interesse war zuletzt die deutliche Annäherung der SPÖ an die FPÖ, womit ich nicht hier im Burgenland meine, denn näher als hier geht?s ja nicht mehr, sondern ich meine den Bund. Da gab?s zuletzt sogar ein mehrstündiges Treffen Kern-Strache. Beobachter sagen, das ist das Werk Hans Niessls, der es geschafft hat, dass es nach vielen Jahren zumindest einmal einen Dialog gibt. War es tatsächlich deine Initiative?
Naja, so was muss natürlich vom Bundeskanzler ausgehen, aber ich war gerne bereit, das aufzugreifen und zu organisieren, dass man zumindest miteinander redet. Der Dialog ist in der Demokratie ganz wichtig. Unser Beispiel im Burgenland zeigt auch, dass man auf sachpolitischer Ebene gut zusammenarbeiten kann. Wir haben das höchste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer. Wir sind im Tourismus in diesem Jahr die Nummer 1 von Österreich. Wir haben die höchste Maturantenquote mit 50 Prozent. Bei der Zentralmatura sind wir im ersten Drittel dabei. Wir arbeiten gut mit den Freiheitlichen, vielleicht auch aus Tradition. Der erste SPÖ-Landeshauptmann wurde 1964 von der FPÖ mitgewählt und 1987 war?s ähnlich. Es gab einige, die sich gefreut hätten, wenn wir im ersten Jahr der Zusammenarbeit SPÖ-FPÖ gestolpert wären, aber es ist gut gelaufen, und wir haben den Reformstau der vergangenen Jahre aufgelöst.
Nochmals zurück zum ersten Gespräch SPÖ-FPÖ auf Bundesebene. Ich weiß, dass Inhalte nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, aber dürfen wir trotzdem etwas erfahren?
Es wurde über aktuelle Tagespolitik gesprochen und auch über Privates bis hin zu Urlaubsplänen. Ergebnis war, dass man die Gespräche fortsetzt, und es war in einer Atmosphäre, in der es einen Sinn hat, miteinander weiterzureden.
Also kommt man nun zur demokratiepolitischen Normalität, dass grundsätzlich alle im Parlament vertretenen Parteien koalitionsfähig sind?
Es war ein Erstgespräch, um in einer Demokratie niemanden auszugrenzen. Dass man sich in manchen Punkten abgrenzt, ist natürlich und gilt für alle Parteien gleich. Auch in einer Koalition mit der ÖVP wird die SPÖ mit dem neoliberalen Kurs einiger dort nicht zurande kommen. Auch mit den Grünen ist vieles nur sehr schwer vorstellbar. Zum Beispiel bei der Haschisch-Freigabe oder im Verhindern von Straßenbau.
Burgenlands Landeshauptmann hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn es in ein paar Jahren das burgenländische Modell für ganz Österreich gibt, oder?
Immer, wenn die Menschen von der Politik profitieren - und im Burgenland ist es so - soll man mit jenen eine Koalition machen, wo man am meisten davon umsetzen kann.
Wird der SPÖ-Parteitagsbeschluss - "Keine Koaltion mit der FPÖ" - revidiert?
Es gibt bereits die Initiative, dass Kritierien für eine Koalition festgelegt werden. Das betrifft jeden potentiellen Koalitionspartner. Also ersetzt der Kriterienkatalog den alten Parteitagsbeschluss.
Noch zur Bundespräsidentenwahl, dritter Wahlgang. Norbert Hofer ist Burgenländer. Beeinflusst das auch die Wahlentscheidung des Landeshauptmanns?
Also, ich gebe keinerlei Wahlempfehlungen ab.
Alexander Van der Bellen hat sich erneut festgelegt, weder Strache noch Hofer jemals zum Kanzler oder Minister anzugeloben. Ist das gescheit?
Die stimmenstärkste Partei soll mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Ob dann eine Mehrheit für eine Koalition gefunden werden kann, wird man sehen.
Der neue Kanzler und SPÖ-Vorsitzende Kern hatte zwar ein paar rhetorisch geschliffene Auftritte, aber schön langsam fragt man sich, wo bleiben die Taten? Was bleibt vom New Deal? Das neue politische Miteinandner gibt es nicht. Beim Rechnungshof gab es Postenschacher und die Besetzung des neuen ORF-Chefs im August lässt Ähnliches befürchten. Wann ändert sich endlich etwas?
Naja, beim Rechnungshof war es der Old Deal des Herrn Lopatka. Von ihm erwartet man sich kaum etwas anderes. Im Herbst sollte die Zeit da sein, in der bei Konjunktur, beim Wohnen, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, bei der Bildung und so weiter deutliche Akzente gesetzt werden. Auch der Kampf gegen Lohndumping und Schwarzarbeit muss geführt werden. Der Herr Finanzminister sollte endlich mehr Finanzpolizisten einstellen, die auch am Wochenende kontrollieren.
Wenn die ÖVP so weitermacht, dann gibt?s Neuwahlen. Ein Zitat von Hans Niessl vom 18.6.2016. Bleibt?s dabei?
Wenn der Herr Lopatka so weitermacht ja. Wenn der Regierungspartner hinter dem Rücken vorbei wichtige Personalentscheidungen mit der Oppostion auf Schiene stellt, geht das nicht. Wobei sich auch die Frage stellt, wie lange die Opposition dem Herrn Lopatka noch traut.
Wie schaut deine persönliche Zukunftsplanung aus?
Wir wollen das Burgenland weiter an der Spitze Österreichs etablieren mit den besten Wirtschaftskennzahlen. Arbeit gibt?s genug.
Sollte man das Amt des Bundeskanzlers von dem des SPÖ-Vorsitzenden trennen? Ist der Arbeitsaufwand von einer Person bewältigbar?
Halte ich für problematisch, weil die beiden dann so optimal harmonieren müssten, dass kein Sand ins Getriebe kommt. Es könnte eher zu Konflikten führen, die es jetzt nicht gibt.
Soll heißen, das Modell Niessl SPÖ-Chef und Kern Kanzler oder umgekehrt ist kein Thema der Zukunftsplanung?
Nein, das ist für mich keine Option.
Danke für das Gespräch.