Mit ihren 28 Jahren hat sie schon mehr erreicht, als andere in einem ganzen Leben. Sie war eine der erfolgreichsten Eishockeyspielerinnen Europas und die jüngste Österreicherin bei einer Eishockey-WM. Als Songwriterin und Sängerin ist sie mit Rock-Pop-Nummern wie Rockin oder Soldier nicht mehr aus den Charts wegzudenken. In der ORF-Show Dancing Stars stellt sich Virginia Ernst nun einer ganz neuen Herausforderung. Im alles-roger?-Interview spricht die Künstlerin über Leistungssport, Lampenfieber, Hüftbewegungen, Klischees und Eifersucht.
Interview: Regina Zeppelzauer
Von der Profi-Sportlerin zur Singer-Songwriterin - wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Karriere?
Mein Vater ist Musiker und ich bin schon von klein auf im Studio mit dabei gewesen. Im Kindesalter hat mich aber der Sport gepackt. Ich wollte unbedingt Eishockey spielen und stand mit drei Jahren das erste Mal auf dem Eis. Mit 17 bin ich dann ausgewandert und war drei Jahre lang Profispielerin in Schweden. Der Sport, die Schule, das Alleine leben wurden mir aber irgendwann zu viel - im dritten Jahr hat es angefangen, dass ich mich richtig einsam gefühlt habe. Ich habe jeden Tag mit meiner Mama telefoniert - das Einzige was ich konnte, war Texte schreiben. Zu meinem 20. Geburtstag habe ich dann eine Gitarre bekommen und mir via Youtube selbst Gitarre spielen beigebracht. Mit nur zwei Akkorden, aber das hat mich so gepackt, weil ich endlich Erleichterung gespürt habe.
Wie war es, mit 17 nicht nur das Elternhaus, sondern auch die Heimat zu verlassen?
Du bist ganz plötzlich auf dich selbst gestellt. Es gab ein Mädchen, vier Jahre älter als ich, das sich um mich gekümmert hat. Sie war in dieser Zeit wirklich meine beste Freundin, die mir alles beigebracht hat. Ich war ja verloren, habe weder Wäsche waschen noch Essen machen können, das hat daheim alles meine Mama gemacht. Und dann ist meine Freundin wieder nach Österreich zurück und ich war alleine in Schweden. Durch einen Vereinswechsel wurde es echt einsam für mich. Alle meine Freunde waren in einem anderen Dorf, drei Stunden weit weg. Ich schrieb meine ersten Songs. Das half mir alles zu verarbeiten.
Wird man schneller erwachsen, wenn man so früh von zu Hause weggeht?
Ja, ich glaube schon. Der Sport hat mich wirklich diszipliniert, um auch wieder aufstehen zu können. Ich gebe nicht auf, bevor ich nicht mein Ziel erreicht habe, das hat mir schon der Sport beigebracht. Diese 13 Jahre Leistungssport haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin.
Wann gewann die Musik die Oberhand über den Sport?
Ich war mit meiner Mutter 2011 - im selben Jahr, in dem ich meine letzte Weltmeisterschaft gespielt habe - in England. Sie hat mich bei einem Workshop für Singer-Songwriter angemeldet. Dort habe ich den ganzen Tag Songs geschrieben und am Ende hat es geheißen, wir gehen alle auf die Bühne und performen unseren Song. Ich dachte nur, das mache ich sicher nicht.
Obwohl Sie doch vom Eishockey Publikum gewöhnt waren ...
Das war etwas anderes - da bin ich plötzlich ?nackt? auf der Bühne und präsentiere meinen Song alleine, ohne Unterstützung. Bis zur letzten Minute wollte ich nicht. Irgendwie habe ich meinen inneren Schweinehund doch überwunden, bin zitternd auf die Bühne und habe diesen Song performt. Ich war so heilfroh als es vorbei war und ich das Thema abhaken konnte.
Sie wollten gar nicht gewinnen?
Nein, das war überhaupt nicht meine Absicht und dann habe ich das wirklich gewonnen. Als Gewinnerin konnte ich mit einem Gitarristen von ELO (Electric Light Orchester, Anm.d.Red.) in London ein Demo aufnehmen. Von einem Tag auf den anderen habe ich meinem Trainer gesagt, ich höre auf mit dem Eishockeyspielen. Er hat mich ausgelacht und gesagt, wir sehen uns beim nächsten Training. Seitdem haben sie mich nie wiedergesehen. Ich bin mit Eishockey groß geworden, das war meine Familie und plötzlich hab? ich das verlassen. Ich habe aber schon länger mit dem Gedanken gespielt, weil ich als Frau nicht die Möglichkeiten gesehen habe, die ein Mann dabei hat. Ich bin so weit gekommen, wie ich kommen konnte. Zurück in Österreich habe ich dann richtig angefangen mit der Musik.
2014 mit der Single Soldier Platz eins der Ö3-Charts und die meistgespielte Künstlerin im österreichischen Radio. Hatten Sie so einen schnellen Erfolg erwartet?
Erwartet nicht. Ich habe zwar immer ein Ziel vor Augen gehabt, aber dass das so schnell gegangen ist, dass ich gleich gespielt worden bin, das hat mich schon überrumpelt.
Wie fühlte es sich an, den ersten eigenen Song im Radio zu hören?
Überwältigend. Zuerst ist es komisch seine eigene Stimme zu hören. Als es hieß, jetzt kommt die neue Single von Virginia Ernst, da habe ich schon Pipi in den Augen gehabt. Das ganze Leben hat sich dann radikal geändert. Ich war nervöser als meine Fans, als ich um Autogramme gebeten wurde und habe echt lernen müssen damit umzugehen.
Wann ist die Inspiration beim Songschreiben größer?
Das ist unterschiedlich. Ich glaube, wenn ich emotionalen Stress habe, schreibe ich die besten Songs. Ich habe probiert, Songs zu schreiben wenn ich glücklich bin, da ist meine Emotion anders. Man kann die Leute auch viel mehr mitreißen, wenn man seine eigenen Geschichten schreibt, weil es ehrlich ist.
Wie kam es zur Teilnahme bei Dancing Stars?
Ich war bei einer Veranstaltung der Dancing Stars dabei und habe dort gesagt, das ist die einzige Show, wo ich mitmachen würde. Die Teilnehmer können alle nicht tanzen, jeder muss das neu lernen und es ist nicht etwas, was ich von klein auf schon mache. Ich habe mein Leben lang immer wieder Wettbewerbe gehabt - das will ich nicht mehr. Bei Dancing Stars bin ich kein Verlierer, auch wenn ich ausscheide, denn es geht nicht um meinen Lebensunterhalt, sondern um Spaß am Tanzen.
Gibt es einen Tanz, vor dem Sie sich fürchten?
Salsa und alles, wo man Hüftbewegungen machen muss. Mit dem Popo komme ich noch nicht so klar. Ich bin gespannt, was ich alles lernen werde. Es ist eine Herausforderung. Hartes Training bin ich gewohnt, ich trainiere sowieso jeden Tag drei Stunden. So viel Unterschied zu meinem normalen Tagesablauf wird es nicht geben.
Sie werden in Männerkleidung und mit einer Frau (Alexandra Scheriau, Anm. d. Red.) tanzen. Angst vor blöden Kommentaren?
Ein Kleid habe ich das letzte Mal getragen, da war ich acht. Ich möchte mich nicht verstellen, nur weil es nach einem Klischee geht, eine Frau soll ein Kleid und Stöckelschuhe tragen. Das will ich niemanden zumuten mich so zu sehen, nicht einmal mir selbst. Ich möchte so wie ich bin daran teilnehmen, das hat nichts mit meiner Sexualität zu tun, sondern einfach damit, wie ich als Mensch bin. Da sollte auch niemand etwas dagegen haben, unabhängig davon, dass ich mit einer Frau lebe.
Es gibt aber noch immer Menschen, die ein Problem damit haben ...
Das ist nicht mein Problem, das ist ihr Problem.
Welcher Ihrer Songs hat die größte Bedeutung für Sie?
Meine neue Nummer Looking in these eyes now bedeutet mir sehr viel. Die haben wir in L.A. produziert, gemeinsam mit Alan Parsons. Es geht einfach darum, dass es Situationen gibt, wo eine Frau nicht herauskommt und das oft jahrelang verschweigt, so wie meine eigene Frau. Sie hat sich mir anvertraut und ich habe gemeint, schreiben wir einen Song darüber. So wie ich es immer gemacht habe - und für sie war das eine Erleichterung. Sie kann endlich erstmalig, und da bin ich wirklich stolz auf sie, an die Öffentlichkeit gehen damit und anderen Frauen helfen, sich nicht mehr unterdrücken zu lassen, sondern sich dieses Selbstwertgefühl zu geben zu sagen, jetzt nicht mehr. Dieser Song ist sehr emotional und mir wirklich ans Herz gewachsen. Ich hoffe, dass wir mit diesem Statement viele Frauen erreichen können.
Sie haben sich nie richtig geoutet. War Ihre Sexualität jemals Thema im Freundeskreis?
Nein, meine Freunde und meine Familie hatten nie ein Problem damit. Weil ich einfach immer schon so war, ich habe mich nie outen müssen. Es war mir auch nie bewusst, dass ich mich jetzt outen soll. Es war ein Coming out ohne Coming out. Von außen gibt es natürlich schon Haterkommentare, meistens anonym. Aber ehrlich, ich bin glücklich und etwas anderes zählt nicht. Man liebt einen Menschen und nicht das Geschlecht. Das sollte heute eigentlich kein Thema mehr sein.
Was sagt denn Ihre Frau zu Ihrer Teilnahme an Dancing Stars?
Dorothea war total begeistert. Sie hat zwar gesagt, sie postet mich zu mit don't touch, überall wo meine Tanzpartnerin mich nicht angreifen darf. Die Handflächen werden noch frei sein. (lacht) Nein, sie ist überhaupt nicht eifersüchtig, da bin ich definitiv eifersüchtiger als sie. Natürlich ist das eine neue Herausforderung für unsere Beziehung, aber die Tanzpartner lernen auch den Partner kennen und somit ist das Thema gegessen.
Es hat aber schon oft gefunkt am Tanzparkett!
Wenn eine Beziehung intakt ist, dann passiert das nicht. Ich bin superglücklich mit meiner Frau, da kann rütteln und kommen was will, ich werde mit ihr alt werden.