Der von seinen politischen Gegnern als "Islam-Kritiker" betitelte deutsche Bestseller-Autor Thilo Sarrazin stellte in Wien sein neuestes Werk, "Feindliche Übernahme" vor. alles roger? erhielt als einziges Printmedium die Gelegenheit, mit Thilo Sarrazin ein Interview zu führen.
Interview: Florian Machl
Selten bekommt man eine Gelegenheit, mit einem so disziplinierten, kultivierten und präzisen Menschen zu sprechen. Thilo Sarrazin betonte während einer Podiumsdiskussion in Wien, dass in all den Jahren seit seinem ersten kontroversiellen politischen Buch Deutschland schafft sich ab, keine einzige Grundthese sachlich widerlegt oder gar geklagt werden konnte. In Sachthemen argumentiert er mit wissenschaftlicher Präzision. Im persönlichen Gespräch zeigt er durchaus auch Sinn für Humor. Seine Ermahnung, das Interview nur wörtlich wiederzugeben, ist für uns eine Selbstverständlichkeit.
Es gab in der Sozialdemokratie einen seltsamen Wandel. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war es für Sozialisten klar, heimatliebend und nationalistisch zu sein. Heute ist alles anders. Wie wichtig ist Identität für einzelne Menschen und die Gesellschaft?
Identität ist natürlich sehr wichtig, weil ich aus dem Gefühl dessen heraus, wo ich herkomme, wo ich hin will und wer ich bin, die Sicherheit im täglichen Leben gewinne. Nur, wenn ich meine Identität nicht ununterbrochen in Frage stelle, kann ich ein wirklich produktives Mitglied der Gesellschaft und mit mir selbst im Reinen sein. Das geht politisch, sexuell, ethnisch - Sie können das auf alles beziehen. Wer ständig schwankt und in sich hineinhört, verliert Kraft für die Welt.
Gibt es in Deutschland noch so etwas wie Identität?
Identität ist zunächst immer auf der individuellen Ebene. Gesellschaft geht auf die individuelle Ebene zurück. Es gibt Gesellschaften, die ihren Mitgliedern identifizierbare Rollenmuster zur Verfügung stellen, welche diese gerne annehmen. Dann sind das harmonische Gesellschaften, die auch sehr handlungsstark sind. Es gibt Gesellschaften, die zwingen ihren Mitgliedern Identitäten auf. Diese werden mit der Zeit instabil, wenn sich die Mitglieder diesen Identitäten entziehen wollen. Am Ende handelt es sich immer um einen dynamischen Prozess, der auch einer Veränderung unterliegt. Wenn Sie jetzt Deutschland hernehmen, das ja gemeinsam mit Österreich um das Jahr 1790 unter Kaiser Josef II. zum Heiligen Römischen Reich gehörte, dann sah das anders aus, als im Jahr 1848, nach der Revolution. Es sah wieder ganz anders aus im Jahr 1918 und wieder ganz anders unter Bruno Kreisky. Heute ist es auch wieder anders. Wenn Sie sich jetzt jeweils eine Wiener Gesellschaft auf diese verschiedenen Zeitpunkte projiziert vorstellen, dann können Sie zwar nacheinander eine Verbindung herstellen, aber es gibt natürlich in den Identitäten riesenhafte Wandlungen. Sie werden sicher zustimmen, dass es die österreichische Identität so nicht gibt.
Was unterscheidet den Islam vom westlichen Werteverständnis, von der westlichen Kultur?
Man muss wissen, dass der Koran als Offenbarung Gottes von den meisten Muslimen und von den meisten Religionsgelehrten wörtlich genommen wird. Dies gibt dem Text des Korans eine andere Bedeutung für die Religion als sie der Text der Bibel für uns heute hat. Heute heißt die Bibel für uns, ,das ist jetzt nicht so gemeint, natürlich wurde die Welt nicht in sieben Tagen erschaffen, natürlich ist sie älter als 5.000 Jahre, natürlich dürfen wir nicht wie die Juden bei der Einwanderung in das Land Kanaan unsere Mitmenschen einfach umbringen, natürlich haben die Propheten das auch nicht so wörtlich gemeint, natürlich ging Jesus nicht über das Wasser?. Das ist symbolisch zu sehen. Und damit ist das Christentum zu einer Religion geworden, in die jeder sein eigenes Selbst hineinprojizieren kann. Das ist beim Islam nicht möglich. Der Islam gibt ganz eindeutige Vorschiften über das Verhalten der Menschen und prägt sie viel mehr, als das im Christentum geschieht. Diese Prägung durch den Islam stelle ich im Kapitel 1 meines Buches dar. Es ist eine sehr starke Prägung, die auch sehr befriedigend ist, weil dem Gläubigen bestätigt wird, dass er von Allah bevorzugt und dem Ungläubigen überlegen ist. Es gibt klare Rollenbilder für Männer und Frauen. Der Muslim, der die wenigen und überschaubaren Vorschriften, die ihm die Religion gibt, praktiziert, wird sicher in das Paradies eingehen und kann sich dort im ewigen Leben mit einer unbegrenzten Zahl von Jungfrauen vergnügen. Das sind natürlich sehr positive Aussichten, die man durch relativ einfache Vorschriften erreichen kann.
Haben Sie persönlich Lösungskonzepte oder Vorschläge dafür, wie Westeuropa gegen die Islamisierung bestehen kann?
Zunächst einmal gilt, dass der Kernpunkt der islamischen Problematik das Verhältnis von Männern und Frauen ist. So lange Frauen so abhängig gehalten werden, wie das im Islam der Fall ist, sie unter das Kopftuch, unter besondere Kleidung gezwungen werden, ungebildet bleiben, früh heiraten, viele Kinder bekommen, so lange wird der Islam einerseits rückständig und andererseits demographisch überlegen sein. Damit ist er im Westen bereits gefährlich. Wir müssen also bei der Emanzipation der Frauen ansetzen. Das geht in den Kindergärten und Schulen los. Wir müssen unablässig und mit großer Energie ein säkulares Bild der Gesellschaft und ein säkulares demokratisches Bild der Rolle der Menschen in der Gesellschaft in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen einpflanzen und müssen dies auch durchsetzen. Und müssen jedem übergriffigen Anspruch von Religionen begegnen. Dazu gehört auch, dass ich keinen islamischen Religionsunterricht an Schulen zulassen würde. Ich würde allerdings in Schulen in der Zahl der bisherigen Religionsstunden einen Staatsbürger- und Wertekunde-Unterricht machen. Der für alle Schüler, egal ob Heiden, Christen oder Muslime gleichermaßen verbindlich ist. Da muss der Staat dafür sorgen, dass seine Werte vermittelt werden. Da dürfen wir auch nicht zu liberal sein.
Haben Sie eine Idee, weshalb sich linke Feministinnen um das Thema der Emanzipation der islamischen Frau überhaupt nicht kümmern?
Weil es nicht in ihr Beobachtungsraster passt. Im Beobachtungsraster des linken Feminismus gibt es zwei Schuldige: die Männer und das Kapital. Beides ist identisch, wenn es sich um reiche, weiße Männer handelt. Andere Schuldige kommen nicht vor. Abgeleitet aus diesen beiden Schuldigen gibt es beispielsweise noch Kolonialismus. Wenn sie überhaupt über solche Fragen nachdenken, dann ist die Rückständigkeit eben ein Resultat der Kolonialherrschaft. Dann hört das Denken auch weitgehend auf.
Der MDR berichtete, Sie hätten ausgeklammert, dass die derzeitige Radikalisierung der Mohammedaner auf die Folgen des Kolonialismus zurückzuführen wäre ...
Das ist natürlich ein absoluter historischer Stuss. Nie gab es in der Türkei oder im Iran eine Kolonialherrschaft. Nie waren die Menschen in Indien so frei, wie unter der Kolonialherrschaft. Niemals gab es in Ägypten so wenig Kopftücher, wie unter der Herrschaft der Briten. Also dieser Rezensent weiß einfach nichts - ich finde es aber lustig (lacht).
Man wirft Ihnen auch vor, mit Ihrem Buch eine Anleitung zu Widerstand, Selbstjustiz und Hetzjagd zu liefern ...
Das ist ja nun frei erfunden. Sie finden in meinem ganzen Buch kein einziges aggressives Wort.
Sie sagen, dass einem in Deutschland Veranstaltungsorte unter fadenscheinigen Begründungen entzogen werden. Haben Sie das Gefühl, dass zurzeit in Deutschland noch Meinungsfreiheit herrscht?
Natürlich herrscht Meinungsfreiheit, ich werde ja nicht ins Gefängnis geworfen. Aber natürlich ist auch klar, dass ARD und ZDF so tun, als hätte Thilo Sarrazin nie ein Buch über den Islam geschrieben. Das wäre ja auch ihr gutes Recht, wenn es sich nur 500 oder 1000 Mal verkauft hätte, aber nicht beim bestverkauften Sachbuch des Jahres 2018. Das heißt, sie versuchen durch gezieltes Ignorieren die öffentliche Meinungsbildung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das ist bei einem staatsfinanzierten Fernsehen, welches mit Zwangsabgaben bezahlt wird, nicht akzeptabel.
Zensur durch Verschweigen?
Ja.
Woher nehmen Sie die Kraft, immer weiter Aufklärungsarbeit zu leisten, obwohl man Ihnen sehr vehement entgegentritt. Überlegen Sie manchmal zu resignieren und einfach schweigend zu beobachten?
Ich bin jetzt 74 Jahre alt. Wie lange ich noch die Kraft und die Lust aufbringe, weiß ich nicht. Aber andererseits sage ich, wenn ich noch auf eine gesellschaftliche Debatte, die ich für wichtig halte, Einfluss habe und außerdem der Meinung bin, dass ich Positionen vertrete, welche Geltung beanspruchen sollten, dann empfinde ich es einerseits als befriedigend und andererseits auch als meine Pflicht, dafür zu werben.
Kann man eine Sache oder eine Person nennen, für die Sie kämpfen? Für wen betreiben Sie diese Aufklärungsarbeit?
Diese Aufklärungsarbeit mache ich für meine Idee von einer guten Gesellschaft. Und letztlich auch für meine Idee von einem glücklichen Deutschland.
Also für die gesamte Gesellschaft?
Ja, für meine Idee davon. Andere haben andere Ideen, aber ich habe eben meine.
Für Außenstehende scheint es überraschend zu sein, mit wie wenig Qualifikation man heute in Deutschland in höchste politische Ämter kommen kann. Denken Sie, dass ein Mindestmaß an Bildung in der Politik wichtig wäre?
Ich finde absolut, dass ein Mindestmaß an Bildung in der Politik wichtig wäre. Allerdings, wer entscheidet über das Mindestmaß? Darüber kann nur der Wähler entscheiden. An sich sollte der normale Wähler verlangen, dass derjenige, der regiert, klüger ist als er selbst. Und er sollte verlangen, dass derjenige auch profunde, praktische Lebenserfahrung, eine gewisse Lebenstüchtigkeit, besitzt. Deshalb ist für mich persönlich durchaus wichtig, wie der Werdegang von Leuten war. Wenn zum Beispiel Ursula von der Leyen Medizin studierte, mit ihrem Mann in den USA war und fünf Kinder bekommen hat, dann beurteile ich die Frage, ob sie bei ihrer Doktorarbeit auch mal eine Fünf eine Gerade sein ließ, durchaus milder als bei einer Andrea Nahles, die sage und schreibe 20 Semester Germanistik studierte, um dann mit einer Magisterarbeit über Groschenromane abzuschließen. Da klaffen einfach Unterschiede auf. Und dass die CDU jetzt einen Generalsekretär hat, der zwei Mal durch das erste juristische Staatsexamen fiel, das heißt entweder strohdumm oder stinkefaul ist. Oder erhebliche psychische Probleme hat. Das kann ich nicht verstehen. Dass Angela Merkel das so macht, zeigt für mich auch eine Missachtung. Dass unter Merkel eine Annette Schavan Wissenschaftsministerin sein sollte, deren einzige akademische Qualifikation in einer plagiierten Doktorarbeit liegt, zeigt auch, dass irgendwie die Auswahlkriterien nicht stimmen.
Die SPD scheint sich mehr und mehr mit islamistischen Strömungen zu verflechten. Bekannte Vertreter sind Aydan Özoguz oder die sehr viel in Erscheinung tretende Sawsan Chebli. Ist die Verbrüderung der SPD mit so manchen problematischen mohammedanischen Vereinen politisches Kalkül zum Stimmenfang oder wie lassen sich die Hintergründe sonst definieren?
Also Frau Özoguz kenn ich nicht. Ihre öffentlichen Aussagen, die ich kenne, zeigen nur, dass sie nicht zu den hellsten Glühlampen gehört, die in der Politik brennen. Mehr sage ich dazu nicht. Sawsan Chebli kenne ich. Sie ist eine junge Frau, die im persönlichen Kontakt charmant und witzig ist. Ob sie ein islamistisches Programm vertritt, weiß ich nicht. Vielleicht hat sie einfach nur ihre Chance genutzt, als Quotenmuslima anstrengungsarm Karriere zu machen.
Und die insgesamte Annährung der SPD an den Islam ...
Es gibt doch überall die Taktiker, die sagen: "Was machen die Jungen?", die denen dann nach dem Munde reden.
Also Taktik? Kalkül?
Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht sagen. Es ist auch sicherlich viel Taktik mit dabei. Ich glaube nicht, dass solche Taktik sehr klug ist - aber das ist meine Meinung.
Abschließend, wie wird es weiter gehen? Sind Bücher oder andere Projekte in Arbeit?
Über meine Bücher rede ich immer erst, wenn ich sie geschrieben habe, insofern kann ich zur Frage, ob ich noch ein Buch schreibe und worum es geht, jetzt auch keine Auskunft geben. Ich weiß es selbst auch noch nicht, im Augenblick bin ich noch in der Reisephase für mein letztes Buch, Feindliche Übernahme. Im Übrigen beobachte ich natürlich voller Interesse, was in der Welt geschieht.
Vielen Dank für das Gespräch!