Der Trend zu getrennten Schlafzimmern setzt sich nicht nur bei Paaren im höheren Alter durch. Auch junge Pärchen tendieren immer mehr zum eigenen Reich. Individualität auf Kosten des Sexuallebens? Der Anfang vom Ende? Weit gefehlt...
"Abstand schafft Nähe, Zusammenkleben killt die Erotik“, sagt Barbara Balldini, eine Sexualpädagogin, die erfolgreich „fröhliche Aufklärungsvorträge“ hält. „Zwischen 18 und 35 schnüffeln und klammern wir gerne. Das soll ja auch so sein, aber dann ... Der Mensch muss das Individuum werden das er ist, und dazu gehört auch der eigene Bereich für die Nacht“, ist Balldini überzeugt.
Dem stimmt Dr. Dieter Schmutzer grundsätzlich zu. Auch er ist Sexualpädagoge und weiß um die Vorzüge von getrennten Schlafzimmern, aber auch um die Nachteile, wobei Ersteres gleichzeitig Letzteres sein kann. Regel Nummer eins: Der Mann muss kommen, bevor er kommen will. „Ein Date im eigenen Haus zu vereinbaren, das ist nicht jedermanns Sache. Man muss aufstehen, rübergehen, anklopfen und wird im schlimmsten Fall abgewiesen, wenn man sich nicht verabredet hat. Außerdem fällt jede Form der Spontaneität weg. Körperlicher Austausch im Halbschlaf ist mit getrennten Schlafzimmern Geschichte“, sagt Schmutzer.
„Ich muss mich nicht mehr tot stellen“
Sex mit geschlossenen Augen, einfach zum anderen rüber greifen und erst mitten in der Ekstase richtig erwachen – oder auch nicht. Ein traumhaftes Szenario für die einen, ein Albtraum für die anderen. „Fest steht, dass der Mann bei getrennten Schlafzimmern keine Chance hat, mir seine Morgenlatte an den Rücken zu pressen. Ich muss mich dann nicht mehr fragen, wie ich aus der Nummer rauskommen kann, ohne mich tot zu stellen“, kontert Balldini, die zwar nicht Kabarettistin genannt werden will, aber dennoch lustig ist.
Ein Schlafgemach für den Herrn und eines für die Dame waren im 17. Jahrhundert in noblen Häusern durchaus Usus. Nur im armen Volk musste sich meist die ganze Familie eine Schlafstätte teilen. Der Anspruch auf das eigene Bett, auch auf das der Eltern, hat sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt. Kaum Standard, möchten vor allem aber nicht nur Paare mit Kindern diese Errungenschaft schon wieder aufgeben.
„Ich erlebe das in meiner Praxis ganz oft, dass sich Ehepaare dann ein zweites Schlafzimmer gönnen, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Bis dahin hat man sich ohnehin aufgeopfert, und dann möchte man seine Individualität leben. Oft ist es ja auch eine Frage des Platzes“, weiß Barbara Balldini.
Das gehört sich so!
Oder nicht?
Für Dr. Schmutzer spielt der Platz eine genauso große Rolle wie die gesellschaftliche Schicht, wobei das eine oft vom anderen abhängt: „Der soziale Hintergrund ist bei dieser Frage entscheidend. Nicht nur, dass oft die materiellen Mittel und somit auch der Platz für ein zweites Schlafzimmer nicht vorhanden sind. Es passt einfach nicht in die Köpfe der Menschen. Das war doch immer so, dass sich Ehepaare ein Bett teilten, das gehört sich so – meinen die Konservativen.“
Richtig blöd ist es, wenn einer diese Überzeugung hat, der andere aber auf sein eigenes Reich pocht. Dann entsteht ein Problem, das gelöst werden muss, wobei dann wieder die Sexualpädagogen ins Spiel kommen. „In so einem Fall empfehle ich, es einfach auszuprobieren. Das gemeinsame Bett hat dann ja aus irgendeinem Grund für einen Partner nicht gepasst. Also ist es einen Versuch wert. Wenn das dann auch nicht klappt, dann liegt es vielleicht gar nicht am Schlafzimmer und man muss sich ganz andere Probleme ansehen“, rät Dr. Schmutzer.
Fest steht: Der Freigeist bahnt sich seinen Weg und macht auch vor dem Schlafzimmer nicht halt. Wenngleich die einen noch hinter vorgehaltener Hand davon erzählen und wieder andere ganz stolz berichten. „Mein Freund und ich haben auch getrennte Schlafbereiche, und das ist gut so. Er ist ein Morgenmensch. Ich schau in der Nacht oft gerne Filme. Außerdem ist mein Bett gleichzeitig meine Bibliothek. Es ist voll mit Büchern“, verrät Barbara Balldini, die den Besuchern ihrer fröhlichen Vorträge eine Therapie verpasst, ohne dass sie es merken.
Das Bild ist auf jeden Fall in Wandlung. Was in den 70er-Jahren noch undenkbar war, ist heute absoluter Trend. Seit rund 40 Jahren verändern sich die ökonomischen Verhältnisse. Frauen werden immer unabhängiger und selbstbestimmter. Eine Beziehung, die nur durch permanente Bereitschaft zum Sex gerettet werden kann, ist es ohnehin nicht wert, gerettet zu werden. Frauen wie Männer dürfen keine Lust zur Lust haben und das auch kommunizieren. Umso größer kann sie dann sein, wenn man sich darauf einstellt, den Partner am Abend zu besuchen.
Verführungskunst statt Lockenwickler
Lockenwickler, Schlabberwäsche und andere Unliebsamkeiten sind in der Nacht der Begegnung absolut tabu. Ob es ein Akt der Liebe oder wilder Sex werden soll, ist dabei egal. Die Partner können sich aufeinander einstellen und sich auf das Zusammentreffen vorbereiten. Die Verführung, die Besonderheit der Augenblicke wird dabei wieder in den Vordergrund rücken. Routine war gestern.
Ebenso wie das Kuscheln danach, was für manchen Mann zwar ein Segen sein mag, aber für die Beziehung ein Nachteil sein kann. „Durch körperliche Nähe werden die gleichen Bindungshormone ausgeschüttet wie beim Sex. Kuscheln stärkt also nicht nur die erotische Verbindung, sondern die ganze Beziehung. Sich beim Einschlafen zu spüren, ist eine nicht unwesentliche Komponente, die bei getrennten Schlafzimmern natürlich gänzlich wegfällt“, erklärt Dr. Schmutzer.
„Sofern das Einschlafen überhaupt möglich ist“, wird jetzt der eine oder andere leidgeprüfte Mensch denken, dessen Partner schon lange schnarcht, während er sich selbst hin und her dreht und sich weit weg von dieser erbärmlichen Geräuschkulisse wünscht, oder zumindest in ein anderes Schlafzimmer ...
»Der Freigeist bahnt sich seinen Weg und macht auch vor dem Schlaf-zimmer nicht halt.«
»Lockenwickler, Schlabberwäsche und andere Unliebsamkeiten sind in der Nacht der Begegnung absolut tabu. Ob es ein Akt der Liebe oder wilder Sex werden soll, ist dabei egal.«
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