In unserem Land wird der Stillstand verwaltet

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Hannes Androsch über Politiker und Marionetten, den Untergang der Sozialdemokratie, und warum er nie Bundespräsident sein möchte.

Interview: Martina Bauer

Menschen sind wütend auf die Politiker, fühlen sich aber ohnmächtig. Sie haben einmal gesagt, dass die Politik ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Was kann der Einzelne tun?

Die Mehrheit der Bevölkerung ist einfach zu bequem und träge geworden, viel zu viele möchten von der Wiege bis zur Bahre paternalistisch betreut werden. Und die Trägheit, die bei uns noch gefördert wird, erzeugt eine Negativspirale. Das ist eine gefährliche Schieflage. In unserem Land wird der Stillstand verwaltet. Was steigt sind die Schulden, die Steuern und der Bürokratismus.?

Das muss Ihnen doch im Herzen wehtun.

?Es tut mir weh, ich bin besorgt und traurig. Wenn man so wie ich sozialdemokratisch sozialisiert ist und den Aufstieg unseres Landes mitgestalten und miterleben durfte, dann ist das, was wir jetzt erleben, nämlich der Wechsel von der Überholspur auf den Pannenstreifen, kein Quell der Freude.?

Man hat das Gefühl, dass Politiker früher Respektspersonen waren, heute werden sie verlacht.

?Wenn man in die Politik geht und sein Lebensziel als Berufspolitiker sieht und keinen privaten Beruf hat, dann ist das der falsche Weg. Man muss wissen, was man in der Politik will und wie man die angestrebten Ziele umsetzen kann. Dafür braucht es als Rüstzeug ein Mindestmaß an Unabhängigkeit. Von den heutigen Politikern hat man zumeist nicht den Eindruck, dass sie an der aktiven Gestaltung der Zukunft Interesse haben, neue Ziele aus Überzeugung anpeilen. Darum reißen sie auch die Menschen nicht mit.?

In Ihrem neuen Buch ?Niemals aufgeben? im Kapitel ?Was braucht Österreich?? zitieren Sie Talleyrand, der sagte: ?Da geht mein Volk. Ich muss ihm nach. Ich bin sein Führer.? Bei uns hat man eher das Gefühl, dass sich die Herrschaften lieber verstecken ...

?Das ist das Kernproblem nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa. Es sind keine Politiker in Sicht, die etwas bewegen, obwohl der Wind der Veränderung bläst. Daher muss man jetzt die Segel setzen und nicht im Trockendock sitzen bleiben. Das vorherrschende Motto in der Politik scheint der ironische Ausspruch von Nestroy zu sein: ,Was hat denn die Nachwelt für mich getan? Nichts! Gut, das Nämliche tu ich für sie!? Das ist einfach nicht akzeptabel.?

Das frustriert ja die Menschen so, und viele resignieren ...

?Ja, die einen werden lethargisch, darum ist die größte Wählergruppe auch die der Nichtwähler, und die anderen protestieren und agieren voller Wut. Beides ist nicht gut.?

Wäre die direkte Demokratie eine Lösung?

?Die direkte Demokratie kann auch missbraucht werden. Selbst in der Schweiz ist die Wahlbeteiligung geringer geworden. Es gibt kein Patentrezept. Das Mehrheitswahlrecht ist auch keine Wunderwaffe. Man bräuchte freie Mandate und ein verstärktes Personenwahlrecht.?

Bestimmt fühlen sich die Menschen auch von der EU. Mit dieser Union haben immer mehr Österreicher immer weniger Freude.

?Europa muss sich emanzipieren und sich darüber klar werden, dass keiner seiner Teile alleine weltpolitische und weltwirtschaftliche Bedeutung hat. Die Amerikaner haben zwar Einfluss, aber dieser wird auch gerne als Ausrede genommen, so wie man sich in Europa auf Brüssel ausredet statt die eigenen Hausaufgaben zu erledigen.?

Man hat aber das Gefühl, unsere Politiker sind Marionetten, deren Fäden in Brüssel gezogen werden.

?Es ist eher umgekehrt. Brüssel ist die Marionette der nationalen Politiker. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Der Ministerpräsident von Bayern hat für eine Ausnahmeregelung für Traktorstühle lobbyiert. Das hat er für eine Firma in seinem Land getan, und das ging tatsächlich durch. In der Öffentlichkeit kritisierte er allerdings die Unsinnigkeit dieser Regelung. Das nationalstaatliche Adjektiv treibt seltsame Blüten wider die gemeinsame Idee Europa. Auch bei uns ist Brüssel ein oft vorgeschobenes Argument.

Sie schreiben in Ihrem Buch auch immer wieder über Versäumnisse der Politik. Was genau meinen Sie damit?

?Es geht um Unterlassungen und auch um eine verfehlte Politik. Die unnötigen Steuern zum Beispiel, etwa für den Schaumwein, die nichts bringen und die eigene Wirtschaft schwächen, wie etwa im Tourismus die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dies ist kein Erfolg versprechender Weg in die Zukunft.

Da war es in Ihrer Ära noch anders. Heute hat man das Gefühl, dass man die Menschen dumm halten möchte.

?Es ist erschreckend, welchen Stellenwert Bildung haben sollte, aber tatsächlich hat. Die sogenannte Bildungsreform, die uns die Bundesregierung am 17. November des Vorjahres präsentiert hat, ist ja nicht mal ein Feigenblättchen, um die diesbezügliche Blöße zu bedecken. Es liegt ja klar auf der Hand, was es für eine moderne Bildungsreform braucht, und es ist absolut nicht verständlich, dass dies nicht durchsetzbar ist. Aber einzelne Entscheidungsträger in den Ländern und in den Gewerkschaften haben sich einer Blockadepolitik verschreiben, um ihre personalpolitischen Positionen und Privilegien abzusichern.

Ein Tenor aus der Bevölkerung: ?Die fetten Jahre sind vorbei.? Wie sehen Sie das?

?Vieles ist Jammern auf hohem Niveau und eine Selbstbemitleidung, die im Widerspruch zur Eigenverantwortung steht. Es ist aber so, dass sich bis 2030 weltweit die Anzahl der ? dann hoffentlich umweltfreundlichen ? Autos von einer Milliarde auf zwei Milliarden steigern wird. Vor 30 Jahren gab es gar keine Mobiltelefone, heute hat fast jeder eines oder auch zwei. Das passt nicht sehr gut zu dieser Feststellung.?

Aber die Mitte bricht weg, und es gibt immer weniger soziale Gerechtigkeit.

?Das stimmt, es gibt viel Ungerechtigkeit und damit Ungleichheit. Die Sicherheitsnetze wurden ja für eine ganz andere Gesellschaftsstruktur geschaffen. Darum passen sie immer weniger und sind immer weniger gerecht. Die Umstände haben sich fundamental geändert, alleine durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft bei einer Schrumpfung der Gesellschaft durch den Geburtenrückgang, aber darauf wird kaum reagiert. Die Politik ist zu bequem und damit nicht erfolgreich, wie die Wahlen und der Mitgliederschwund der einstigen Großparteien zeigen.?

Am Ende Ihres Buches geben Sie vor allem jungen Menschen zehn Weisheiten mit auf den Weg. Die zweite ist: ?Seid also in einem bestimmten Sinne verrückt, neugierig, erfindungsreich!? Wie viel Raum haben wir noch für Verrücktheiten?

?Ich meine damit ja keine psychische Krankheit, sondern das Streben, Neues zu probieren, die eigene Kreativität nützen, auch wenn man vielleicht mehrfach scheitert, ehe sich der Erfolg einstellt. Ich empfehle eine intellektuelle Wagnisbereitschaft, wo man mit dem Risiko der Ungewissheit konfrontiert ist. Auf den ausgetretenen Wegen hin zur Frühpension wandeln, das kann kein befriedigendes Lebensziel sein. In diesen Zeiten muss man flexibel sein und sich den Anforderungen anpassen. Man muss machen, was einem Freude macht, eine erfüllende Tätigkeit suchen.?

Das Amt des Bundespräsidenten wäre eine solche nicht für Sie?

?Nein! Der Bundespräsident ist wichtig als Staatsnotar, für Repräsentationszwecke, als moralische Instanz, aber er ist kein Gestaltungshebel. Letzterer hat mich immer und bis heute interessiert, alles andere wäre mir zu fad gewesen.?

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